Quis custodiet ipsos custodes?
Von Frans NL, aus dem Newsletter der NVSH Lwg JORis
Dem Gedenken an Edward Werner, 11 Jahre alt
und um das Wohl von Sam Manzie, 15 Jahre alt.
Eine Nachricht
Im September 1997 sitzt der fünfzehnjährige Sam Menzie in einer
amerikanischen Jugendstrafanstalt. Ihm wird vorgeworfen, den elfjährigen Edward
Werner mißbraucht und ermordet zu haben. Alle haben darüber berichtet, daß
Sam Menzies von einem Mann, dessen Begegnung er über das Internet gesucht und
gefunden hatte, mißbraucht worden sei. Nur ein kleiner Teil der Presse,
namentlich einige Web-Sites und Newsgroups haben die ganze Geschichte erzählt.
Darüber fand ich kein Wort in den niederländischen Medien. Mir aber ging diese
Geschichte nicht aus dem Kopf. Ich stellte mir viele Fragen. Über diese
Geschichte und diese Fragen möchte ich die Leser dieses Bulletins informieren.
Die Geschichte
Sam war ein ruhiger Junge, ein Tüftler, der stundenlang in seinem Zimmer am
Computer saß. Er hatte seinen eigenen Platz im World Wide Web. Ich habe ihn
gesehen, es war eine nette Web-Site mit Photos einer Musikgruppe und
natürlich von Sam selbst. Er sah für sein Alter schon richtig groß aus. Es
scheint, daß Sam das Gefühl hatte, schwul zu sein, aber auch, daß seine
Eltern dies nicht akzeptieren würden. So suchte er im Internet auf einem
Chat-Kanal für Schwule nach Kontakten. Er fand, was er suchte, einen Mann, der
ihn kennenlernen wollte. Sie verabredeten sich. Sam brachte seinen Vater dazu,
ihn zu dem Treffen zu fahren, ohne das dieser wußte, worum es eigentlich ging.
Es war Sam, der den Mann besuchen und bei ihm übernachten wollte. Mehrere
solcher Treffen fanden statt, fraglos auf Wunsch des Jungen.
Zu Hause aber hatten seine Eltern das Gefühl, ihr Sohn habe Verhaltensstörungen.
So suchten sie einen Therapeuten für ihn aus und Sam sprach mit diesem. Er
erzählte ihm von seinen schwulen Gefühlen und auch von den Begegnungen, die er
mit seinen selbstgewählten erwachsenen Freund hatte. Von da an ging alles
schief. Der Therapeut erzählte die Geschichte der Polizei und diese den
Eltern des Jungen. Sie schloß ein Tonbandgerät an das Telephon des Jungen an
in der Hoffnung, die Gespräche zwischen ihm und seinem Freund aufzeichnen und
diesen damit überführen zu können.
Erst ließ Sam all dies geschehen. Dann, aus irgendeinem Grund, änderte er
seine Meinung und, anstatt seinen Freund in die Falle zu locken, warnte er ihn
und zerstörte wütend das Tonbandgerät. Darin sahen seine Eltern einen
weiteren Beweis seine Verhaltensstörung und sie baten die Behörden ihn
einzusperren. Dies wurde aber abgelehnt.
Inzwischen war Sams Freund verhaftet und eingesperrt worden. In diesem Moment
der größten Verwirrrung kommt Edward Werner zu Sam nach Hause, um Geld für
einen örtlichen Verein zu sammeln. Er kommt herein und die Jungen haben Sex
miteinander. Ob sie sich schon kannten, oder ob dies ihre erste Begegnung war,
das habe ich bis jetzt nicht herausfinden können. Dann brachte Sam Edward um
und versteckte seinen Leichnam. Bald wurde in der kleinen Gemeinde das Kind
vermißt und die Leiche gefunden. Sam wurde verhaftet und des Mordes angeklagt.
Der Staatsanwalt sagte, daß er Sam als Erwachsenen behandle soweit es den Mord
angehe, aber als Kind soweit es den Mißbrauch durch seinen Freund
angehe.
Fragen
Sam wird als Kind und damit als Opfer betrachtet, wenn er aus freien Stücken
einen Freund sucht; als Erwachsener, wenn er im Zustand inneren Aufruhrs mordet.
Mit anderen Worten der Mord erscheint als ein vorsätzliches Tun Sams, während
seine Liebe nur als Ergebnis eines Mißbrauchs gedacht wird, als etwas, was er
garnicht hätte wollen können. Ist dies nicht ein etwas seltsames Denken?
Mich regt nicht nur die Geschichte auf, sondern auch die Art der Darstellung
in den Medien. Alle berichteten nur von sexuellem Mißbrauch. Sie sagten
nicht, daß Sam diesen Kontakt aktiv suchte und wollte. Dies könnte doch
erklären, warum er das Tonbandgerät zerstörte und warum er so verwirrt und
wütend war, daß er seinen jüngeren Kameraden ermordete. Das sind doch
Tatsachen, die man wissen muß. Und doch haben die klassischen Medien sie nicht
berichtet, nur Newsgroups und andere Internet Kanäle. Warum?
Besonders wundert mich die Rolle des Therapeuten. Es gibt wohl in
manchen Teilen der USA [Anm.d.Ü.: überall dort] eine Anzeigepflicht für jeden
[in bestimmten Berufen], der von einem Mißbrauch erfährt. Aber handelte
es sich um Mißbrauch? Was sind das für Überlegungen, die dazu führen, dies
Mißbrauch zu nennen?[Anm.d,Ü.: Die Anzeigepflicht betrifft einen vagen
Verdacht schon, und ist mit Sanktionen und Haftungsfolgen bewehrt.] Warum half
der Therapeut nicht stattdessen Sam und unterstützte ihn darin, mit
seinen Gefühlen zu Rande zu kommen? Warum sind solche Gefühle für einen
15-jährigen verboten? Muß man Jungen mit solchen Gefühlen wirklich behandeln?
Muß man sie davor beschützen, solche Begegnungen zu haben wie Sam, wenn sie
sie wirklich wollen? Warum wird in einer solchen Begegnung, was immer dabei
geschieht, auch wenn er ganz freiwillig ist, nur immer als Mißbrauch
gewertet? Wer ist an diesem roboterhaften Denken schuld? Wer mißbrauchte Sam
denn nun wirklich, der Freund oder vielleicht doch der Therapeut? Oder
wie der amerikanische Volksmund es auszudrückt: therapist = the rapist!
Wie verantwortlich war die Polizei, die das Opfer benutzte um den Täter
zu fangen? Warum wollten sie von Sam, der von seinem Therapeuten verraten worden
war, daß er nunmehr seinen Freund verrate? Wer trägt die Schuld an Sams
Verwirrung und Wut?
Die Eltern: hat ihnen niemand geraten, daß sie sich um einen engeren Kontakt
mit ihrem Sohn bemühten? Daß sie seine Gefühle verstanden und akzeptierten
und ihrem Sohn halfen? Ist dies nicht die normale Verantwortung aller Eltern?
Hat ihnen niemand klargemacht, daß ihre fehlende Unterstützung und ihr
fehlendes Verständnis der Grund für die ,,Probleme'' ihres Sohnes waren? Und
wer trägt die Verantwortung für die katastrophale Einbeziehung des Therapeuten?
Nun ist Sam eingesperrt als Schwuler und Mörder, ist sein Leben zerstört.
Der Junge Edward Werner ist tot, was aus ihm hätte werden können, wird nun
nicht mehr. Wer aber ist dafür verantwortlich? Wer trägt Schuld an seiner
Verwirrung? Wer trägt Schuld an seiner Vorstellung, jeder sexuelle Kontakt --
sei es mit seinem erwachsenen Freund, sei es mit dem jüngeren Edward -- müsse
um jeden Preis verborgen bleiben,
Ich habe immer wieder nach der Verantwortung gefragt, die nach meiner Meinung
nicht nur Sam, sondern die auch Gesellschaft trägt, vor allem deren
Meinungsmacher.
Quis custodiet ipsos custodes?
Wer bewacht die Wächter?
Wer wird sie zu Rechenschaft ziehen?
Wie? Warum? Und wann?
[Die deutsche Seiten]
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