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Meta-Analyse des sexuellen Mißbrauchs
Sie wurde verurteilt,
doch war sie gute Forschung und brachte lang-überfällige Skepsis
Bruce Rind, Robert Bauserman, Philip Tromovitch
[*1]
Aus: Skeptical Inquirer, Juli/August 2001,
68-72
Im Juli 199[8] veröffentlichte die angesehene Zeitschrift Psychological
Bulletin einen Übersichtartikel (8),
dem bald die ungewöhnliche Ehre zuteil wurde, vom Kongreß der Vereinigten
Staaten einstimmig verurteilt zu werden. In dieser Arbeit hatten wir die
Ergebnisse aus 59 Originalarbeiten zusammengefaßt, in denen die psychologischen
Auswirkungen des sexuellen Kindesmißbrauchs (child sexual abuse - im folgenden
kurz Mißbrauch) [*2]
untersucht worden waren. In der Folge veröffentlichte der Skeptical
Inquirer zwei Kommentare, von denen sich einer (1)
gegen den Kongreß, der andere (3) gegen
unsere Untersuchung stellte. Wir möchten hier aus unserer Sicht die Geschichte
dieser erstaunlichen Mischung aus Politik, Macht und Hysterie erzählen, welche
doch sicher alle zu den Antithesen kritischen und skeptischen Denkens gehören.
Wir haben unsere Untersuchungen in Geiste jener wissenschaftlichen Skepsis
durchgeführt, deren Fehlen während der Mißbrauchspanik der achtziger und
frühen neunziger Jahre traurig stimmt. Seit 1984 verbreiteten sich
aufsehenerregende Fälle satanistischen rituellen Mißbrauchs in
Kindertagesstätten in den ganzen USA, vom McMartin im
Westen zu Fells Acres im Nordosten und Little Rascals im Süden.
Einzelnen Mitarbeitern wurde z.B. vorgeworfen, sie hätten Vierjährige mit
Schwertern und Brenneisen mißhandelt, sie in Ritualen zum Verzehr von Kot und
dem Blut frisch-geopferter Säuglinge gezwungen oder sie gar im Weltall oder auf
hoher See, von zu Schäferhunden abgerichteten Haien bewacht, sexuell
mißbraucht. In diesem Zeitraum bis gegen Ende der achtziger Jahre hatte sich
zudem eine milliardenschwere Bewegung ausgebreitet, die Diagnosen und Therapien
für die »multiple Persönlichkeitsstörung« lieferte. Überall im Lande
begaben sich Frauen mit unklaren Beschwerden - sie fühlten sich beispielsweise
unglücklich, ohne zu wissen warum - in Therapie und verließen sie mit »wiederaufgetauchten Erinnerungen« an bizarre Kindheitserlebnisse.
Beispielsweise glaubten sie, sie seien mit Haushaltgegenständen oder Gemüse
mißbraucht worden. Dies habe sich über Jahre oder Jahrzehnte so hingezogen,
doch keine Erinnerung hinterlassen. Oft wurde diesen Frauen der Eindruck
vermittelt, ihre Persönlichkeit sei aufgrund der angeblichen
Mißbrauchserfahrungen in Dutzende, Hunderte, ja sogar Tausende von
Nebenpersönlichkeiten (alters) aufgespalten.
Und doch traten mit der Zeit auch Skeptiker auf - Wissenschaftler, Juristen
und andere, - die die Geschichten, die aus den Gerichtssälen und
psychotherapeutischen Praxen drangen, in Frage stellten. Sie demonstrierten, wie
selbst haarsträubende Erinnerungen eingepflanzt, wie Kinder manipuliert und
gezwungen werden können, dreiste Lügengeschichten zu erzählen, wie man
Menschen glauben machen kann, sie besäßen Tausende von »Persönlichkeiten«.
Die Kindergarten-Fälle versiegten, Verurteilungen wurden aufgehoben, einige der
extremeren Therapeuten der »multiplen Persönlichkeitsstörung« erfolgreich
auf Schadenersatz wegen Kunstfehlern verklagt. Aber trotzdem waren nur wenige
bereit, die Kernaussagen, die diesen epidemischen Hysterien zugrunde lagen,
kritisch zu hinterfragen: daß sexueller Mißbrauch besonders schrecklich ist
(mehr als jedes andere Erlebnis oder jede Familienpathologie) und notwendig zu
lebenslangen Schädigungen führt (jedenfalls ohne Therapie). Es wurde Zeit,
diese Annahmen zu überprüfen.
Der erste, der einen Zusammenhang zwischen Mißbrauch und psychologischen
Störungen sah, war Siegmund FREUD. In seiner
»Verführungstheorie« führte er gleich alle Neurosen des
Erwachsenenalters auf vorzeitigen Sex mit einem Älteren zurück. Er stützte
sich dabei auf etwa ein Dutzend Patienten, denen er mit ähnlichen Mitteln, wie
sie später im Zusammenhang mit der modernen »Gedächtnistherapie« in Verruf
kommen sollten, Erinnerungen an sexuelle Episoden abrang. Bald gab er diese
Theorie jedoch auf, und sie ruhte in Vergessenheit, bis die moderne
Frauenbewegung der 1970er sie wiederentdeckte, und Interessenvertreter und
Kinderschützer (victimologists) [*3]
ihren Wert schätzen lernten als Mittel, um das
»Patriarchat« anzugreifen und ihre Kassen zu füllen.
Wie der Historiker Philip JENKINS (4)
dokumentiert hat, ist es in den Siebzigern praktisch über Nacht zu einem
unantastbaren Glaubenssatz geworden, daß Mißbrauch das verheerendste Erlebnis
ist, das einem Kind widerfahren kann. Was versteht man unter einem »Kind«? Man
bezeichnete bald jede Art sexuellen Kontaktes eines noch Minderjährigen mir
einem mehr als fünf Jahre älteren als Mißbrauch. Was versteht man unter »Mißbrauch«? Die Kinderschützer begannen
[Seite 69]
mit Vergewaltigung und Inzest, doch
bald erweiterten sie die Definitionen, bis sie z.B. Entblößungen ohne
Berührung, sexuelle Episoden zwischen Kindern unterschiedlichen Alters und
einvernehmlichen Erlebnisse von reifen Jugendlichen mit älteren Jugendlichen
oder Erwachsenen mitumfaßten. Und doch, so beharrten sie, seien alle diese
Episoden schädigend und bestenfalls noch vergleichbar mit Erlebnissen wie
Sklaverei, schweren Unfällen, Angriffen durch Kampfhunde oder der Folter.
Nun ist Sex im allgemeinen ja keine schmerzhafte und verletzende
Angelegenheit, wie von einem Hund verstümmelt oder gefoltert zu werden es
grundsätzlich sind. Oft ist es im Gegenteil genau das Angenehmste, was einem
geschehen kann. Wie kann man also von vornherein annehmen, daß ein Vierzehn-
oder Fünfzehnjähriger, nur deshalb, weil sein (oder ihr) Partner älter ist,
mit einem Trauma statt mit Freude reagiert? Und in der Tat reagieren Teenager
diese Alters häufig anders, als es uns die rechte Lehre glauben machen will. So
schrieb z.B. Dan SAVAGE in seiner am 29. Juli 1999 von vielen
Tageszeitungen verbreiteten Kolumne »Savage Love« mit Blick auf die Angriffe
gegen unsere Studie:
Wie kann man darüber nur verschiedener Meinung sein? Als jemand, der mit
vierzehn Jahren den Mißbrauch durch eine zweiundzwanzigjährige Frau
»überlebte« und mit fünfzehn den Sex mit einem dreißigjährigen Mann,
kann ich diese Forscher nur unterstützen. Mir haben diese juristisch
illegalen Begegnungen nicht geschadet, ich habe sie gewollt und erinnere mich
gern daran. Es ist lachhaft, sich vorzustellen, daß das, was ich mit
fünfzehn Jahren getan habe, von denkfaulen Wissenschaftlern als »Mißbrauch« bezeichnet und mit der inzestuösen Vergewaltigung eines
fünfjährigen Mädchens gleichgesetzt werden könnte.
Solche Geschichten sind alles andere als selten, doch finden sie in das
Denkschema der Kinderschützer keinen Eingang.
Die ganzen Siebziger hindurch gewannen die »Kinderschützer« an Macht und
Mitteln. Der Child Abuse Treatment and Prevention Act hatte 1974 Mittel
bereitgestellt, um der körperlichen Mißhandlung und Vernachlässigung von
Kindern entgegenzutreten. Bis 1976 [*4]
hatte sich aber sein Schwerpunkt weitgehend auf Mißbrauch verlagert. Der
Kinderschutz florierte dementsprechend und produzierte Hunderte von Studien, die
angeblich immer die Annahmen der Kinderschützer bestätigten. Nur haben diese
Studien durch die Bank die elementarsten methodischen Grundsätze mißachtet, um
zu den erwarteten Ergebnissen zu gelangen. Meistens stützten sie sich auf
klinische Fallstudien, deren Ergebnisse sie ohne viel Federlesens
verallgemeinerten, obwohl diese höchst unrepräsentativ sind
(Selektionsbias - Externes Validitätsproblem). Obwohl sie bei Personen mit
Mißbrauchserfahrungen immer wieder auf einen Hintergrund aus ärmlichen und
chaotischen sozialen und Familienverhältnissen gestoßen sind, in denen
Mißhandlungen, Vernachlässigungen und Delinquenz häufig waren, haben sie dies
als Faktoren für die späteren Störungen in der Regel ignoriert oder
heruntergespielt und alle Probleme nur dem Mißbrauch angelastet (Internes
Validitätsproblem). Stellten sie einen Zusammenhang von Mißbrauch mit
seelischen Störungen fest, so unterließen sie es in der Regel anzugeben, wie
stark diese Störungen waren, und erweckten so den Eindruck, die Folgen seien
immer dramatisch (Präzisionsproblem). Schließlich führten sie in
Literaturübersichten häufig selektiv nur solche Arbeiten an, die ihre Annahmen
bestätigten, und übergingen solche, die entgegenstanden, mit Schweigen
(Untersucherbias).
Diesen Fehlerquellen wollten wir mir unserer Untersuchung entgegenwirken. Um
die externe Validität zu stärken, haben wir Studien über College-Studenten
gewählt, die bei weitem allgemeingültigere Schlüsse zulassen als solche über
Patienten, denn etwa die Hälfte der U.S.-Bevölkerung hat einmal ein College
besucht. Um die interne Validität zu stärken, haben wir systematisch das
Familienumfeld unter die Lupe genommen, um zu prüfen, ob die seelische
Gesundheit noch mit Mißbrauch korreliert, wenn wir diese Daten
mit-berücksichtigen. Um die Genauigkeit zu erhöhen, haben wir meta-analytische
Methoden benutzt, die es erlauben, die Ergebnisse aller Studien in ein
gemeinsames Maß umzurechnen, und diese dann zu kombinieren. Schließlich haben
wir alle geeigneten quantitativen Daten benutzt, anstatt daraus auszuwählen, um
so den Untersucherbias auszuschalten.
Wir stellten die folgenden Hypothesen auf: wenn Mißbrauch ein so
schreckliches Erlebnis wie die Folter ist und dauerhafte Auswirkungen hat, wie
die Kinderschützer es behaupten, so sollte der statistische Zusammenhang
zwischen Mißbrauch und gegenwärtigen Problemen auch dann groß sein, wenn wir
die Untersuchung auf Studenten beschränken, denen es relativ gut geht. Darüber hinaus
sollte dieser Zusammenhang robust sein und selbst dann bestehen, wenn wir andere
mögliche Ursachen der Störungen und Probleme mitbetrachten, wie z.B. das
Familienumfeld. Schließlich sollte fast allen Menschen ein Erlebnis, das mit
dem Angriff eines Kampfhundes verglichen worden ist, als unangenehm, wenn nicht
gar als grauenhaft, in Erinnerung bleiben.
Doch keine dieser Annahmen bestätigte sich. Zwar fand sich ein
statistischer Zusammenhang zwischen Mißbrauch und psychologischen Problemen,
der aber nicht groß war, sondern klein. Das familiäre Umfeld (z.B.
Mißhandlungen, Vernachlässigung) hingegen erklärte diese Probleme etwa
zehnmal so gut wie der Mißbrauch. Tatsächlich verschwanden die statistischen
Zusammenhänge zwischen Mißbrauch und seelischen Problemen oft, wenn wir das
Aufwachsen in schrecklichen Verhältnissen als »Störgröße einführten«. In
ziemlichem Kontrast zur Annahme von Kinderschützern, daß alle Betroffenen
einen Mißbrauch negativ in Erinnerung hätten, empfanden ihn vor allem Jungen
meist als positiv oder neutral. Die Art der sexuellen Episoden, etwa sanfte
Berührungen im Gegensatz zum Geschlechtsverkehr, hatte keinen Einfluß auf die
Folgewirkungen, wohl aber ein etwaiger Einsatz von Gewalt oder ein
Verwandtschaftsverhältnis. Wer als Kind Opfer von inzestuösen oder aggressiven
Sexualkontakten wurde, hatte später tatsächlich mehr psychologische und
emotionale Probleme. Die Annahme der Kinderschützer hingegen, alle Arten
sexueller Erfahrungen in Kindheit und Jugend führten stets zu dauerhaften
negativen Konsequenzen, war aber eindeutig falsch.
Weil so viele Männer ihren Mißbrauch nicht »mißbräuchlich« fanden, d.h.
nicht schmerzhaft oder schädigend, und aufgrund von Anmerkungen durch Gutachter
der Zeitschrift, bat uns der zuständige Herausgeber, den Begriff »Mißbrauch«
neu zu definieren. So, wie er herkömmlich gebraucht wurde, hatte er nur geringe
Gültigkeit als »Konstrukt«: daß nämlich jemand in seiner Kindheit »sexuell
mißbraucht« worden sei, besagt noch gar nichts im Hinblick auf seine
Reaktionen oder seine späteren Probleme. Solche Begriffe, aus denen man nichts
folgern kann, sind wenig nützlich in der Wissenschaft. Folglich bat uns der
Herausgeber, gestützt auf unsere Ergebnisse, »Mißbrauch« anders zu
bestimmen. Dies taten wir beispielsweise mit dem Vorschlag, dann nicht von »Mißbrauch« zu reden, wenn es um freiwillige positiv empfundene sexuelle
Handlungen von und mit Jugendlichen geht.
[Seite 71]
Diese Umformulierung erhöhte
einerseits die Konstruktvalidität, wie sie andererseits einen Ausbruch
moralischer Empörung nach sich zog.
In ihrer weitverbreiteten konservativen Talkshow griff uns »DR. LAURA«
monatelang an. Das Family Research Council, eine konservativ-christliche
Lobby, mobilisierte konservative Abgeordnete, um die Amerikanische
Psychologische Vereinigung (APA) unter Druck zu setzten, daß sie
unsere Studie zurückziehe. Und eine kürzlich gegründete Organisation, deren
Mitglieder seit langem die Gültigkeit sowohl der Gedächtnistherapien wie der
multiplen Persönlichkeitsstörung verteidigten (sie nennen sich - ziemlich
großspurig - das Leadership Council for Mental Health, Justice and the Media)
hatte Dr. LAURA wie auch die Abgeordneten mit Verdrehungen
unserer Forschungen beliefert, aus denen diese dann Einzelheiten herauspickten,
die zum Angriff auf uns und die APA benutzt wurden. Am
bekanntesten wurde die Behauptung, 60% unser Daten entstammten einer einzigen,
zudem veralteten Studie. Die APA, die unsere Untersuchung zuerst
als »gute Arbeit« verteidigt hatte, gab schließlich dem Druck nach und machte
den erbosten Abgeordneten und Psychotherapeuten Zugeständnisse. Raymond FOWLER,
ihr Generaldirektor, sagte uns, er habe keine Alternative, denn er befinde sich
in einem »Kampf Mann gegen Mann mit Abgeordneten, Infotainern (talk show
hosts), der Christlichen Rechten und der Amerikanischen Gesellschaft für
Psychiatrie (American Psychiatric Association)«. Und so verurteilte die APA
in einer Stellungnahme den Mißbrauch von Kindern (als hätten wir ihn
gutgeheißen!), distanzierte sich von dem Aufsatz und versprach, ihn einer
Überprüfung durch eine andere wissenschaftliche Organisation zu unterziehen.
Damit war der Kongreß besänftigt und lobte die APA in demselben
Atemzug, in welchem er uns verdammte.
Tatsächlich wurde unsere Arbeit einer erneuten Überprüfung unterzogen,
diesmal durch die American Association for the Advancement of Science (AAAS),
die die größte wissenschaftliche Organisation der Vereinigten Staaten ist.
Deren Ausschuß fand an unserer Arbeit und Analyse nichts auszusetzen, sondern
äußerte stattdessen »schwerwiegende Bedenken« gegen die Art und Weise, in
der unser Aufsatz politisch ausgeschlachtet und verfälscht worden war. Unsere
Kritiker wurden zurechtgewiesen, weil sie das in sie gesetzte Vertrauen durch
die Verbreitung von ungenauen Informationen verletzt hatten. Die Kritiker, die
erwartet hatten, daß die AAAS uns desavouieren würde, waren
auffallend stumm.
Wir haben die üblichen Kritiken an unserer Arbeit ausgiebig zurückgewiesen
(6,9).
Wir konnten dartun, daß die Kritik des Leadership Council wenig mehr war
als eine Allerweltsattacke, in welcher ohne Rücksicht auf Sinn, Logik und
Wahrhaftigkeit so ziemlich jeder Einwand gegen uns erhoben wurde, der ihnen
gerade einfiel. Die Verfechter der Gedächtnistherapien (recovered memories)
sind ja nicht gerade für ihre statistischen Fähigkeiten und methodische
Strenge bekannt. Wen wundert's dann, daß ihre Einwendungen mehr verzweifelten
Versuchen glichen, uns am Zeuge zu flicken, als einer auf Mehrung der Kenntnisse
gerichteten Unternehmung. Eine der nächsten Ausgaben des Psychological
Bulletin enthält eine Neuauflage ihrer verdrehten Kritiken (2),
(5), nebst unserer Replik (7).
Keine ihrer Einwendungen hat unsere Schlußfolgerungen je erschüttern können.
Diese Angriffe durch Konservative und Kinderschützer dienen nach unserer
Einschätzung nur der Verteidigung ihrer ideologischen Glaubensätze und wohl
auch, bei den Therapeuten, ihrer Umsätze. Kürzlich erschien im Skeptical
Inquirer eine andersgeartete Kritik von Margaret HAGEN(3),
in der sie sich als die wahre Skeptikerin darstellte, die mehr daran
interessiert ist, Schwachstellen in unserer Arbeit zu benennen, als politisch
korrekt zu sein. Im Unterschied zu der Mehrheit der Kinderschützer legt sie
ihren eigenen Standpunkt offen: so sieht sie einen großen Unterschied zwischen
der Sexualität von Kindern und Jugendlichen, sie hält es für verfehlt,
Männer, die reife Teenager attraktiv finden, als Pädophil zu bezeichnen, und
sie hält die Schutzaltersgrenzen und andere Altergrenzen in den USA
für widersprüchlich und unlogisch. Da aber viele der Fehler, die sie bei der
Lektüre unseres Artikels machte, so häufig und zugleich der Art des wahren
Skeptikers so fremd sind, möchten wir auf diese eingehen.
Zunächst schreibt HAGEN, daß wir ihren Intentionen
politischen Schaden zufügten, indem wir das Mißbrauchskonstrukt einer »weitreichenden Revision« unterzögen, die durch die Ergebnisse der
Meta-Analyse nicht motiviert sei.
Wie dargestellt, haben wir den Mißbrauchsbegriff einer Revision unterzogen,
weil die Gutachter, gestützt auf unsere Ergebnisse, dies im Hinblick auf
das Validitätsproblem für geboten hielten. Somit diente unsere »weitreichende
Umformulierung« nicht dem Zweck, irgendein sozialpolitisches Programm zu
fördern, wie HAGEN es uns wiederholt unterstellt, sondern sollte
im Sinne des Herausgebers die Wissenschaft fördern. Dies haben wir in unseren
Kommentaren zu dieser Kontroverse ausgiebig dargestellt (6),
(9), die HAGEN
unglücklicherweise nicht kannte oder nicht gelesen hat. Dort haben wir auch
einen anderen Punkt diskutiert, den sie nennt: die Frage der »Einwilligung«.
Die Originalarbeiten, die wir referierten, hatten »schlichtes
Einverstandensein« - Freiwilligkeit im Gegensatz zu Zwang etwa - untersucht,
nicht »informierte Einwilligung«, die eine Aufklärung über alle möglichen
»Risiken und Nebenwirkungen« zur Voraussetzung hätte. Freiwilligkeit wirkt
sich in den einschlägigen Studien (als »Moderatorvariable«) auf die
Konsequenzen aus, sowohl in unserer Meta-Analyse als auch in anderen
Untersuchungen. Weil es also das Ergebnis beeinflußt, ist es ein gültiger
wissenschaftlicher Begriff. Die Diskussion um »informierte Einwilligung« ist
ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver.
Dann wendet sich HAGEN gegen die Verwendung von subjektiven
Einschätzungen (self-reports), die sie »notorisch unzuverlässig« nennt. Das
sind sie auch manchmal, jeder gute Untersucher wird das bei der Konzeption
seiner Untersuchungen berücksichtigen. Aber man kann nicht gut solche
Selbsteinschätzungen mal akzeptieren, wenn einem die Ergebnisse in den Kram
passen, mal ablehnen, wenn sie es nicht tun. Alle haben persönliche
Einschätzungen akzeptiert, wenn sie negative Reaktionen auf Mißbrauch
enthielten, sollen nun Erinnerungen an neutrale oder positive Reaktionen
plötzlich »notorisch unzuverlässig» sein? Glaubt HAGEN etwa,
das Lob eines Berichterstatters über ein feines Essen oder dessen negative
Schilderung eines schmerzhaften medizinischen Eingriffs als »notorisch
unzuverlässig« abtun zu dürfen? Wir bezweifeln dies. Es ist doch sehr
informativ, wenn wir von nicht-negativen Erinnerungen an Mißbrauch hören,
steht dies doch in einem gewissen Kontrast zu der Auffassung, Mißbrauch sei
»schlimmer als der Tod«.
Schließlich findet HAGEN, wie andere Kritiker auch, unsere
Verwendung meta-analytischer Methoden problematisch, von denen sie behauptet,
sie seien geeignet, »aus statistischen Mücken« so etwas wie fiktive »Elephanten«
zu machen.
[Seite 72]
Tatsächlich war die Richtung unserer Arbeit eher die
entgegengesetzte, indem wir manchen Signifikanz-Elephanten in eine Mücke
zurückverwandelten, somit paßt ihr Bild gar nicht. Wie andere auch, die mit
dieser Methode unvertraut sind, glaubt sie, wir »zählten Äpfel und Birnen
zusammen«, ohne auf die Qualität der Daten zu schauen. Doch dies ist ein
Einwand, der auf traditionelle, qualitative Übersichtsartikel erst recht
zutrifft, in denen ja der Vergleich von Arbeiten ganz subjektiv erfolgt. Die
Meta-Analyse erlaubt hingegen durchaus zu prüfen, ob die Zusammenfassung
unterschiedlicher Studien oder Meßmethoden eine Rolle spielt. Wenn dies der
Fall sein sollte, würde die Varianz der Resultate groß sein. In unserer Studie
stellte dies kein Problem dar.
Alles in allem glaubt HAGEN wie viele Psychotherapeuten, daß
unsere Untersuchung uns wenig über Mißbrauch und seine Folgen sagt. Da sind
wir anderer Auffassung. Wir haben einem Problem, das außer Kontrolle geraten
war und zu einer »moralischen Panik« (4)
Anlaß gegeben hatte, strenge und skeptische Aufmerksamkeit angedeihen lassen.
Kinderschützer sind Interessenvertreter, keine Gelehrten. Es gibt auch einen
Platz für die Vertretung von Interessen -Advokation-, aber nur solange, wie sie
nicht für Wissenschaft ausgegeben wird, und solange wie die Politik durch die
bestmögliche wissenschaftliche Erkenntnis instruiert wird statt durch
unbewiesene Vermutungen, wie fest man auch immer an sie glauben mag.
-
Kenneth K Berry and Jason Berry.
The Congressional censure of a research paper: Return of the inquisition?
Skeptical Inquirer, page 20, 1 January 2000.
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-
S. J. Dallam, D. H. Gleaves, A. Cepeda-Benito, J. L.
Silberg, H. C. Kraemer, D. Spiegel.
The effects of child sexual abuse: Comment on Rind, Tromovitch, and
Bauserman (1998).
Psychological Bulletin, 127(6):715-733, NOV 2001.
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-
-
Margaret Hagen.
Damaged goods? What, if anything, does science tell us about the long-term
effects of childhood sexual abuse?
Skeptical Inquirer, 24(1(Jan./FebJ):54-59, 2001.
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-
Philip Jenkins.
Moral panic : Changing concepts of the child-molester in modern America.
Yale UP, 1998.
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-
S. J. Ondersma, M. Chaffin, L. Berliner, I. Cordon,
G. S. Goodman, D. Barnett.
Sex with children is abuse: Comment on Rind, Tromovitch, and Bauserman
(1998).
Psychological Bulletin, 127(6):707-714, NOV 2001.
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-
Bruce Rind, Robert Bauserman, Philip Tromovitch:
Science versus orthodoxy: Anatomy of the congressional condemnation of a
scientific article and reflections on remedies for future ideological
attacks.
Applied & Preventive Psychology, 9(4):211-226, FAL 2000. [PDF
text] [PDF
refs]
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-
-
Bruce Rind, Philip Tromovitch, Robert Bauserman:
The validity and appropriateness of methods, analyses, and conclusions in
Rind et al. (1998): A rebuttal of victimological critique from Ondersma et
al. (2001) and Dallam et al. (2001).
Psychological Bulletin, 127(6):734-758, NOV 2001.
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-
Bruce Rind, Philip Tromovitch, Robert Bauserman:
A Meta-Analytic Examination of Assumed Properties of Child Sexual Abuse
Using College Samples.
Psychological Bulletin, 124(1):22-53, 1998.
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-
Bruce Rind, Philip Tromovitch, Robert Bauserman:
Condemnation of a scientific article: A chronology and refutation of the
attacks and a discussion of threats to the integrity of science.
Sexuality & Culture, 4(2):1-62, 2000.
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Footnotes
-
Bruce Rind ist Professor am Department of Psychology der Temple University
(E-mail - rind3@astro.temple.edu). Robert Bauserman arbeitet für das
Department of Health and Mental Hygiene, State of Maryland. Philip
Tromovitch arbeitet an der Graduate School of Education, University of
Pennsylvania. - Übersetzung durch Ipce.
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Im Original stets zu CSA abgekürzt. - Abuse ist natürlich
wesentlich unspezifischer.--Anm. d. Übers.
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Ich benutze »Kinderschützer« als deutsche Übersetzung von
»Victimologist«,
wohl wissend, daß dies keine genaue Entsprechung darstellt. Der Extension
nach dürften die Gruppen aber in etwa übereinstimmen. Child saver
scheint einen ausgesprochen antiquarischen Klang zu haben, Opferkundler
klingt nicht weniger lächerlich.--Anm. d. Übers. [Zurück]
-
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»Within 2 to 3 years« heißt es in (7)
S.753 l.Sp. [Zurück]