*4„An allen Universitäten wird jetzt die Hexerei gelehrt, und aller Welt Autoritäten haben sich dazu bekehrt"Eine Parallele zur heutigen Rechtsentwicklung bspw. zum Sexualstrafrecht, die in den liberalen 1960er bis 1980er Jahren noch undenkbar in der rechtstaatsbewussten Justiz war, ist der merkwürdige Sachverhalt, dass auch die Lehre von den Hexen, ihrer Identifikation und ihrer juristischen Bekämpfung in all ihrer Absurdität erst etabliert wurde, nachdem Justiz und Universitäten den Hexenglauben Jahrhunderte zuvor noch als irrwitzigen Volksaberglauben bekämpft und für Humbug gehalten hatten: Selbst nach Erscheinen des verhängnisvollen Malleus Maleficarum von Heinrich Kramer Ende 15. Jahrhundert („Hexenhammer“) wurden die entsprechenden Lehren von Dämonen und Besessenen an den Universitäten zunächst auch noch längere Zeit als radikalistische Sektiererei abgelehnt - auch übrigens vom Vatikan und der katholischen Kirche selbst. Vor allem durch die geschickte Diffamierung jener Gelehrten und Zweifler im „Hexenhammer“, welche die Existenz von Dämonen und Besessenen als Volksaberglauben begriffen und leugneten, als minderbemittelte oder verantwortungslose „Verharmloser“ - wurde dieses „Aufklärungsbuch“ über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten erst zum „verhängnisvollsten Buch der Weltgeschichte“
Mehr und mehr der gesamten Gelehrtenszene wurde der „Hexenhammer“ zum rechtsverbindlichen Lehrwerk und zum Weisbuch der Identifikation, Vernehmung und Hinrichtung von „Hexen“. Die vorgeblich minderbemittelten und ewiggestrigen „Verharmloser“ in Forschung und Lehre waren innerhalb des Universitätswesens infolge der Verbreitung dieses Bestsellers
Minderheit geworden:
Man vergleiche hierzu im „Hexenhammer“ einmal die rhetorischen und „wissenschaftlichen“ Argumentationstechniken
stilistisch mit den typischen Aufklärungswerken aus den 90er-Jahren zum heutigen Reizthema „Pädophilie“ bzw. „sexueller Kindesmissbrauch“. Man fühlt sich dabei sogar unmittelbar an Ursula Enders´ „Zart war ich, bitter war´s“ erinnert – „dem“ Aufklärungs- und Weisbuch der gegenwärtigen halbprofessionellen Kinderschutzaktivisten, wie man obskure, dämonisch-faszinöse „dunkle Geheimnisse“ bei Kindern „aufdeckt“, vor “Pädophilen“ als wie allgegenwärtigen Finsterlingen warnt, und mit teils ins magische: reichenden Zerstörungswirkungen der Seele durch pönalisierte sexuelle Handlungen. Die Parallelen reichen bis zu Zitierweisen und derselben emotionalistischen Empörungsdemagogie wie im Hexenhammer gegen Täter und ihre „Verharmloser“. Zweifler werden vorab in Täternähe gerückt. Die Parallelen reichen vom selben Tonfall bis zu denselben rhetorischen Techniken der Plausibilisierung einer neuen Theorie des Hexenunwesens. Insbesondere werden beständig „Verharmloser“ beschworen - und wirkungsvoll der Leser damit vorab gegen mögliche kritische oder logische Einwände verhetzt. Ähnlich übrigens auch in „Grünkram“ von Adolf Gallwitz aus den Neunzigern. Man muss in der Tat den „Hexenhammer“ lesen um festzustellen, womit man es in solchen Werken mit ihrem hasstiradenhaften „Erwachet“ und einer emotionalistischen „Aufklärung“ gegen Menschen stilistisch zu tun hat. Die zunehmende Anhängerschaft des demagogischen, gleichwohl wissenschaftlich daherkommenden „Hexenhammers“
hatte die akademische Positionierung zum Teufelsglauben bis zum 17. Jahrhundert nun bald dramatisch geändert. Allerdings erklärt sich diese Entwicklung auch durch zeitgeschichtliche Entwicklungen wie den monströsen 30-jährigen Krieg. Aufgrund der in meiner Moritat angesprochenen Gefahren für jeden Kritiker betreffs Ruf und Leben, der seinem Zeitgeist widerspricht, sei darauf hingewiesen, dass mit dem Rekurs auf den Hexenwahn in solchen Zusammenhängen keineswegs etwa ketzerisch mit falschen Vergleichen gearbeitet soll. Die Grundeinsicht, die in meiner Moritat zu vermitteln war, ist einfach - und dabei geschichtlich völlig objektiv: Es ist keinerlei Verlass selbst auf eine Einigkeit sämtlicher Experten und Gelehrten zu zeitgeschichtlichen Brennthemen. Bestürzender Weise ist es also nicht einmal ein Kriterium der Wahrheitsfindung, wenn man sich auf sämtliche Lehrwerke und Professoren seiner Zeit berufen kann als Argument dafür, man habe Recht. So zu verfahren ist
nicht nur naiv und unwahr oder zeugt von mangelndem Geschichtsbewusstsein: Angesichts der Auswirkungen ist es in letzter Konsequenz sogar gefährlich, sich wissenschaftlich auf „alle Autoritäten seiner Zeit“ zu berufen, um irgendwelche kritikablen staatlichen oder juristischen Maßnahmen gegen Menschen damit zu begründen. Aus keinem anderen Grund als dieser erschreckenden Wirklichkeit wurde das Poem im Anfang verfasst. Selbst, wollte man die Einigkeit der Professorenschaft
verschwörungstheoretisch jeweils mit „Gleichschaltung“ durch dunkle Mächte erklären, so ergäben sich nachgerade hier bestürzende Parallelen zu aktuellem Thema: Das „Herausmobben“ einer liberalen und humanistischen Generation der 70er- und Achtziger Jahre über Kindersexualität oder „gefährliche“ sexuelle Devianzen aus den juristischen, psychiatrischen und sozialwissenschaftlichen Lehrstühlen und den öffentlichen Trägern - als überlebte oder spinnerte „Verharmloser“.
Es folgte der Ersatz dieser liberalen („verharmlosenden“) Generation durch konservatives Personal – und zwar im Zuge einer in den Neunzigern wörtlich von der Regierung über die Massenmedien so ausgerufenen „Kampagne gegen sexuellen Kindesmissbrauch“
Später übrigens wurde dieses Schlagwort pauschalisiert gegen „Pädophilie“ zugespitzt: Kriminalisierung von Menschen also, in Abstraktion von eigentlichen strafrechtlichen Handlungen. Einschlägig auch die Sprache. Entmenschlichend sprach Klaus Kinkel beispielsweise von solchen Menschen:
Die Universitäten sind – mehr oder weniger bereitwillig – dem Druck von Bevölkerung, Politik und Pressewesen erlegen - und dem sie exekutierenden politischen Willen
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