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Präventionsstrafrechtoder Vom Bürger und vom HexenbrennenMichael Griesemer, 2010 Teil 1 - Gedicht
VorbemerkungHinzuweisen ist zunächst darauf, dass die in meiner Moritat dargestellten Fälle der juristischen Verurteilung von Kindern zur Hinrichtung keineswegs eine Fantasie des Autors sind (wie erste Rückmeldungen vorauszusetzen schienen): Es sind historische, so stattgefundene Fälle. Aus Stadtarchiven dokumentiert sind sie in der wissenschaftlichen Arbeit von Professor Hartmut Weber vom Lehrstuhl für evangelische Theologie Heidelberg 1991, Kinderhexenprozesse, erschienen im Insel-Verlag Frankfurt am Main. Wesentliche Quellentexte, die der staatskritischen Moritat „vom Bürger und vom Hexenbrennen“ zugrunde liegen, sind u.a. auch Sack, F. (2004). Wie die Kriminalpolitik dem Staat aushilft. [Governing through crime] als neue politische Strategie. 8e Beiheft zum Kriminologischen Journal, Weinheim (Juventa), S. 30-50. Dabei ist es, neben den staatskritischen Allegorisierungen einer verfassungsrechtlich diskutierten Fehlentwicklung des Rechtstaats, ein Anliegen dieses Texts, den bis dato kaum bekannten Sachverhalt von Hexereiprozessen gegen Kinder - vielleicht erstmals - ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit zu bringen. Dies gelingt sehr viel besser in einer einprägsamen Form (hier: einer wenn auch traurigen Moritat). Den betroffenen Mädchen und Jungen ist - außer in kaum gelesenen wissenschaftlichen Arbeiten - nicht nur noch immer kein Mahnmal gesetzt: Vielmehr sind sowohl das Faktum selbst wie auch der Umfang der Ermordung von Kindern im 16. und 17. Jahrhundert durch einen Wahn unseres Bürgertums mit seiner Justiz in ihrem so ganz eigenen Schrecken von der Nachwelt offenbar schon früh verdrängt worden: Gewissermaßen kaum, dass die Asche gerade kalt geworden war. Frevel gegen Kinder obliegen einer ganz besonderen Verdrängung - gerade bei denen, von denen sie jeweils begangen werden.
Dies hat mit einem Paradoxon zu tun: Mit ihrer Bemächtigung durch die Liebe von uns Erwachsenen. Die selbst noch den physischen Mord an ihnen als notwendige Befreiung der kindlichen Seele begreifen kann.
FußnotenDiese können gelesen worden neben Teil 1, ein Gedicht, aber auch als Teil 3 (oder 2), als speziellere Erläuterungen zu einzelnen Textpassagen. Gehen Sie zum (*1) und gehen Sie weiter. Teil 2Hexenprozesse gegen Kinder und sexuell Deviante im 16. und 17. JahrhundertErläuterungen, Bemerkungen und Dokumentationen zur Moritat
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Entsprechende Projektionen, | |
einseitige Bindungsbedürfnisse und | |
grenzverlustige Verhaltensweisen |
– die wir in der so stilisierten „Liebe“ alle bei uns selber kennen, sie dort aber als „menschlich“ betrachten.
In ihrem Fall
(ich spreche nur von der Sondergruppe der Pädophilen im Bereich der Sexualtäter an Kindern)
wird gerade diese Psychologie der Liebe als abscheulichstes Verbrechen gegen Mitmenschen invertiert - schlimmer noch moralisch als Mord und Vergewaltigung. Letzteres kommt überdies einem Realitätsverlust gleich.
Eine Paradoxie, die etwas von Verrücktheit hat. Kein Pädophiler, wie ihre Fälle lehren, schädigt etwa vorsätzlich ein Kind – gerade Kinder geschädigt zu haben, müssen sie ja auf manchmal pathologische Weise „abspalten“. Es verhält sich also nicht so, dass – wie meistens dargestellt – dies aus „Gewissenlosigkeit“ geschieht.
Eine weitere Fiktion in diesem Zusammenhang ist das liebeheuchelnde Ungeheuer zur eigenen Sexualbefriedigung – dessen Pathologie darin bestünde, sexuelle Impulse für Liebe zu halten. Als spräche von uns „Normalen“ jemals einer von „Liebe“ zu einer Person, auf die er nicht - als Mann oder Frau – im sexuellen Kontext anspricht.
„Liebe“ ist bei jedem von uns wundersamer Weise nur auf Menschen bezogen, wo wir – anatomisch passend – irgend etwas irgendwo lustvoll hineinstecken können. Bereits Augustinus hat diese menschliche Perversion des landläufigen Liebesbegriffes erkannt. Jeder von uns entwickelt im Sexuellen dabei auch einen Bindungskontext – und allerhand projektive Verschmelzungsfantasien aufkosten dieser anderen Person. Diese Pathologie hätten wir also alle.
Hier mache ich die eigentlichen Bedenken im Kontext von Pädophilie für Kinder geltend. Dies aber ist nicht die Strafbegründung: Dezidiert wird strafrechtlich verfolgt nur irgendetwas „Sexuelles“.
Wobei sich die Gesetze so entwickelt haben, dass die Strafverfolgung
(mit extremsten Strafmaßen und Folgen auch für´s Kind)
aufkosten jedes anderen Kontextes gehen: Auch da, wo eine sexuelle Handlung über eine reichlich banale Handlung selbst in den Darstellungen des Kindes dazu nicht hinausgeht.
Es gibt in letzter Zeit nun sogar Fälle, wo eine völlig unspezifische körperliche Berührung dadurch für das Gericht zur „sexuellen Handlung“ wurde, weil es ein Pädophiler sei, der das Kind umarmt, gewickelt oder auf die Wange geküsst hat.
Hier scheint es sich inzwischen um die juristische Umsetzung des „Schwanz ab, ganz egal was so einer macht“ aus der Bevölkerung zu handeln – ebenso, wie den seit Bundeskanzler Schröder realisierten Ausweitungen der Sicherungsverwahrung der Parteien für solche Menschen der Vulgarismus „Wegsperren für immer“ analog ist.
Es scheint sich hier also vor allem eine öffentliche Moral befriedigen zu wollen – wobei die Schrecknisse und Belastungen für die Kinder genauso bedenkenlos in Kauf genommen und zurecht rationalisiert werden, wie man es den pädophilen Parias als Begründung zur Verfolgung ihrer sexuellen Handlungen vorwirft.
Für die „Kinderschänder“ werden damit mehrjährige Haftstrafen für Handlungen wie bspw. dreimaliges Streichen über die Hose im eines Jungen begründet
(nach den rechtlichen Bestimmungen je 1 Jahr für jede solche Berührung)
- ganz gleich auch, wie das unfreiwillig von Dritten deklarierte „Opfer“ von so etwas dies seinen eigenen Wertungen nach erlebte.
Viele Fälle, wo sich diese Dinge so verhalten – gehören meiner Ansicht nach nicht in den Gerichtssaal. Ebenso wenig Kinder in ihrer Intimität, wenn wir denn wirklich so die Verletzung ihrer Intimität durch eine „sexuelle Handlung“ beklagen:
Es ist nicht zu erkennen, dass die Moral, die dem Täter Verletzungen der kindlichen Intimität und des Schamgefühls von einem Kind für Haftstrafen vorwirft
(Staatsanwaltschaften, Eltern, Nebenkläger)
– irgendwelche Gründe kennte, dem Kind die Entäußerung seiner Intimität und die entsetzliche Scham vor Ermittlern und im Gerichtssaal für ihre
(oft mit hasserfüllter Energie betriebenen)
Strafprozesse zu ersparen.
Vor die Wahl gestellt, einen Pädophilen hinter Gitter zu bringen oder dem Kind die intime Scham und Pein während Intervention und Gerichtsprozess zu ersparen – entscheidet sich jeder für den Strafprozess.
Die Ankläger kümmert die “verletzte “Intimität” des Kindes durch ihre Motive ebensowenig wie sie den Angeklagten bei seinen sexuellen Motiven gekümmert hat. Und ebenso wenig unterscheiden sich beide Seiten in der Praxis in der „Abspaltung“ und in der findigen Rationalisierung und Selbstechtfertigung dieses Punktes für ihr Tun
(vgl. im Text „…drum kümmre ´s nicht, wie sehr es weint“).
Pädophile wie Staatsanwälte sehen vor Gericht einzig bemitleidenswerte heulende und aufgelöste Kinder während ihrer Befragung.
Diese herzzerreissende „Bemitleidungstour“ dient aber den Klägern lediglich dazu, dem Angeklagten die Schuld daran zu geben, was er dem Kind dann „alles angetan haben müsse“, und damit empathisch ein möglichst hohes Strafmass zu demagogisieren – wie es dem Angeklagten dazu dient, sich mit dem „armen Kind“, das da greint, keucht, schluchzt, sein Bild von der korrupten kinderfeindlichen Justiz zur eigenen Entlastung zu bestätigen. Es gibt da auf formaler Ebene keinen Unterschied.
Ein weiterer eigenartiger Widerspruch ist und bleibt es - bereits rein logisch - dass diese Gesetze zunächst mit dem „Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des Kindes“, und später dann, als sich dieser Nonsens in der Strafrechtskritik danach nicht halten ließ, mit dem Schutz der „ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern“ begründet und übertitelt wurden – dass es juristisch aber a u s d r ü c k l i c h als irrelevant und überdies unmöglich erklärt wurde für die Anwendung die Strafverfolgung, ob
etwa eine Heranwachsende selber den sexuellen Rapport hergestellt, | |
ein homosexueller Junge in seiner Traumwelt sich einen erwachsenen Homosexuellen für seine ersten Erfahrungen auserkoren haben könnte, | |
oder ob die betreffenden Handlungen nach den Aussagen der Heranwachsenden „konsensual“ waren. |
Hier haben wir es sogar mit einer wissenschaftlichen und juristischen Diskussion zu tun, die im Zuge dieser Rechtsentwicklung von den Betreibenden kriminalisiert wurde, und via Pressekanäle von den betreibenden Lobbies öffentlich als „Täterdenken“ diffamiert worden ist.
Dieser Aspekt der regierungspolitischen „Kampagne gegen Kindesmissbrauch“ ab 1990 hat also etwas von Regierungskriminalität an sich, was den Umgang mit dem kritischen Lager von Juristen und Experten – und auch den Betroffenen der beabsichtigten Gesetze - bei den damaligen populistischen Entscheidungen angeht.
Dies sind nur zwei von überaus vielen Punkten, wo bei offener Betrachtung an der Moral, die hier verfochten wird, entschieden und nachweisbar etwas nicht stimmt.
Dies ist auch In so, wo das Trauma aus dem Mund des Kindes keineswegs der Graus vor sexuellen Handlungen war - sondern die Erfahrung, gegen Menschen unter dem Zwang von Dritten aussagen zu müssen, den sie selber noch immer ungemein schätzen - oder sogar lieben: Dieser Aspekt ist nun symptomatischer Weise derjenige, der, denkt man wirklich an die Kinder, am nahesten liegt – und der zu keinem Zeitpunkt in den Strafverschärfungsbegründungen auch nur erwähnt worden ist.
Es hat nicht einmal interessiert, was es in bestimmten Fällen für das Kind bedeutet, den eigenen Papa und den Ernährer der Familie hinter Gitter reden zu müssen.
Und genau damit bin ich den schlimmsten Angriffen ausgesetzt: Solche Fälle zu behaupten sei „Beschönigung von Pädophilie“. Oder: „Auf Straffreiheit für Pädophile“ liefe das ja hinaus: Was nun nichts deutlicher beweist als die Verlogenheit, es ginge bei all dem um die Sorge um „Kinder“:
Man versucht scheinbar irgendwie seine zusammenrationalisierten Kompromisse mit diesem Anspruch zu basteln – um zu larvieren, was ganz offensichtlich wirklich im Vordergrund des aktivistischen Betreibens steht: Hass und Lust an der Verfolgung sexueller Parias.
Reale Fälle von Kindesmissbrauch – wobei es merkwürdiger Weise keinerlei Informaton bedarf, was sich außer sexuell zu Verstehendem im Eintelfall dahinter verbirgt - setzen diese Dinge wahlweise in Form archaischer Rachlust oder strafsüchtiger Prüderie frei.
Irgendwelche Sorgen um das Kind, es könne bei der Strafverfolgung über Monate hinweg Schaden nehmen, sind in Wirklichkeit jedem nachgeordnet, wie die Praxis lehrt.
Nun ist es eine einfache Rechnung, inwieweit es um die Ahndung oder Prävention von Schäden an Kindern gehen kann – wo solche Schädigungen im Zug der Strafverfolgung für die Kinder wissentlich in Kauf genommen werden.
Buchstäblich jeder einzelne Punkt der diesbezüglichen Rechtsentwicklung verweist darauf: Es genügt bereits, wenn man die entstandenen Paragraphen nach dieser Frage einmal im Wortlaut studiert:
Und damit kommen wir auch psychologisch zu Parallelen des Massenwahns und des Pogroms, die wir aus früheren Zeiten – sollte man meinen – bestens kennen. Wir können uns nicht damit entschuldigen oder herausreden, dass wir heute nicht mehr wie früher noch die Todesstrafe, die körperliche Folter oder die Verstümmelung von Verurteilten am lebendigen Leib auf der Richtstätte kennen:
Entscheidend ist bei diesen wie bei den folgenden formalen Betrachtungen einzig das Folgende: Wer im Mittelalter genüsslich die schlimmsten Strafen phantasierte und umsetzte – der wird auch heute zu jenen gefährlichen Wesen gehören, denen die schlimmsten Strafen unserer Tage allzeit noch nicht extrem genug sein können: Die selben menschlichen Typologien tauchen in der Geschichte immer wieder auf.
Durchaus innerhalb des Rechtstaates könnten sie ihre extremen Phantasien realisieren - insofern, dass einzig dieser Rechtstaat solchen Fanatikern und Scharfmachern die Zügel anlegt.
Allerdings: Auch in diesem Punkt ist bei dem obigen Einleitungsthema aus der Arbeit des Verfassers einiges Unerfreuliche festzustellen: Es gibt diesbezüglich keinerlei Sicherheit – bereits derzeit nicht mehr – da Rechstaatswidriges kurzerhand als mit dem Recht vereinbar deklariert wird (einfach per Mehrheitsvotum).
Der Rechtstaat ist auf diese Weise durch eine Illusion von Rechtstaat zu ersetzen, welche vom prophylaktischen „Wegsperren für immer“, über Urteile für Straftaten ohne notwendigen individuellen Schadensnachweis für einfach nur sozial Missliebiges bis vielleicht irgendwann zur präventiven Notwendigkeit von Kastration oder Mord (Todesstrafe) langfristig wieder alles möglich zu machen scheint: Und zwar ohne dass es dann verfassungsrechtlich einklagbar wäre.
Zentral im sexuellen Bereich hat das Deutsche Bundesverfassungsgericht – trotz aller seiner Achtsamkeit in sonstigen rechtstaatlichen Belangen – im Lauf der bundesrepublikanischen Geschichte grundsätzlich und konsequent schon immer versagt, wenn es um vorrechtstaatliche Vorbelastungen ging, die es menschenrechtlich oder nach Humanitätsprämissen im Strafrecht auszuräumen gegolten hätte
(wie das inzwischen gleich mehrere mir bekannte Richter befanden).
Bspw. war er Entfall des widerwärtigen „Homosexuellenparagraphen“ 175
(in den Neunziger Jahren erst)
gerade nicht dem Bundesverfassungsgericht zuzuschreiben
(seine „Austauschgesetze“ übrigens zum „Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der Jugend“ haben seinen zentralen Irrsinn betreffs seiner Schutzaltersgrenze jetzt nur „gleichberechtigt“ auf Heterosexuelle ausgedehnt und das Strafmass erhöht).
Auch die bedenklichsten Rechtsnormbrüche gegen „Pädophilie“ trug das Verfassungsgericht gemäß der Volkesstimme bis heute mit.
Und die nämliche Unfähigkeit der konservativen Richterschaft dort, irgendwas zur Humanisierung vorrechtstaatlichen Umgangs mit sexuellen Problematiken zu bewerkstelligen, zeigte sich vor wenigen Monaten erst wieder in einem Urteil zur moralisch widersinnigen Gesetzgebungsaspekten beim „Inzest“.
Von der Pfählung Homosexueller im Mittelalter über die Ermordung sexuell devianter Kinder im 17. Jahrhundert aus einer christlich geprägten Sexualdämonologie heraus, bis zur Gaskammer für sexuell „Degenerierte“ vor einigen Jahrzehnten in der Hitlerjustiz sind Schmutz und Menschenverachtung im Umgang mit sexuell Stigmatisierten in der konservativen Kultur ein bislang unaufgearbeiteter Schandfleck ihrer Geschichts- und Rechtsaufarbeitung.
Gott sei Dank, kenne ich keinen weiteren Bereich, wo eine finstere
künftige Rechtsentwicklung wie skizziert bereits so sehr mit Händen zu
greifen ist, derart fortgeschritten und auf eine solche künftige
Entwicklung in der Richtung bereits ausgelegt ist, wie den Bereich,
über den ich oben sprach. Getreu dem Prinzip „Wehret den Anfängen“
muss es mit Blick auf unser Staatswesen opportun sein, diese Problematik
zu behandeln – selbst, sollte man in Einzelpunkten vielleicht auch irren.
Meine forensische und Forschungsarbeit betreffs „Pädophilie“ soll
hier nicht überstrapaziert werden.
Zum ersten ... |
... fand ich schon länger, dass sich unsere Bevölkerung – in einer Demokratie lebend – geradezu als berufsunschuldig gebärdet, wenn es darum geht, zeitgeschichtliche Entwicklungen, Pogrome oder irgendwelche Ausgrenzungen von Minderheiten zu erklären:
Als lebe man noch tief verhaftet in der autoritätsstaatlichen und voraufklärerischen Epoche, sind an den Progromen des „Dritten Reiches“ stets „die Nazis“ der damaligen politischen Garde schuld, an aktuellen Wirtschaftskrisen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen heute stets nur die „korrupte“ Politik; der Hexenwahn wird der „bösen Kirche“ zugeschrieben – etc. pp:
Man hat den Eindruck, der „kleine Mann“, „die arbeitende Bevölkerung“ oder der „normale Bürger“ habe niemals für irgend etwas eine persönliche Verantwortung
– selbst wenn er hinterher mit schöner Regelmäßigkeit die Partei verflucht, die er selber eben erst -
aus Profitgier oder Lobbyismus ihrer Wahlversprechungen wegen - gewählt hat.
Dem entspricht auf der anderen Seite mein Unbehagen, dass alle Politik im notwendigen Mehrheitsbeschaffungswesen einer Demokratie der Bevölkerungsmehrheit verpflichtet ist – und damit bei Fragen des Minderheitenschutzes ebenso wie bei Fragen einschneidender aber vernünftiger wirtschaftspolitischer Entscheidungen chancenlos dem Mob hörig ist.
Man könnte sagen, die Gesellschaft „vermittet“- Was dieser Mittenmasse nicht angehört, muss um seine Beachtung, die staatliche Versorgung mit Ressourcen und seine rechtliche Situation bangen.
Wir haben wohl noch gar nicht begriffen, dass Marx´ Arbeiterproletariat“ – der „Mob“- des 19. Jahrhunderts heute unsere repräsentative bürgerliche Mitte und die entscheidende Wählerschaft mit all ihren kleinbürgerlichen Abgründen darstellt Pointiert könnte man auch sagen: „Die Diktatur des Proletariats“ – mit der „Arbeiterbevölkerung“, also dem „kleinen Mann“ übersetzt – ist in unserer Mehrheitsdemokratie redewörtlicher verwirklicht als es sich der Kommunismus mit seinen eingeschränkten Begrifflichkeiten je hat träumen lassen.
Buchstäblich nichts schützt mithin unser Rechts-, Polit- und Mediemsystem vor Entwicklungen, mit denen eine Bevölkerungsmehrheit samt ihrer Politik zu gegebenen Zeiten wieder über Minoritäten oder Außenseiter herfallen könnte.
Zum zweiten ... |
... stieß ich nun im obigen Grundlagenwerk über Kinder als Opfer des Hexenwahns – einer bevölkerungsübergreifenden Psychose letztlich - auf die verblüffende Information, dass
(geradezu identisch mit strafrechtlichen Entwicklungen zu einem „Präventionsstrafrecht“ ab 1990)
um 1590 Juristen bereits den Begriff des „Ausnahmeverbrechens“ eingeführt hatten (delictum exceptum):
Um in Abweichung von der rechtstaatlichen Carolina Karls V. Menschen auch ohne notwendigen individuellen Nachweis von Schädigungen - oder auch nur Schädigungsabsichten - wegen von der Bevölkerung als „hexerisch“ beargwöhnten Handlungen auf den Scheiterhaufen zu verurteilen.
Im Zuge dieser - mit Vorbeugung und Sicherheitsinteressen begründeten - neuen Praxis wurde der rechtliche Schutz von Angeklagten im Strafverfahren damals systematisch abgebaut. Selbst Kinder wurden mit immer unbebremsterer Grausamkeit wegen Hexerei verfolgt, und wie Erwachsene auch der Tortur unterzogen.
Statistisch datiert der Höhepunkt der Hexenprozesse gegen Kinder dabei zu einem Zeitpunkt, wo die Hexenverfolgung Erwachsener bereits im Abklingen war.
Auch hierin letztlich war der „Präventionsgedanke“ leitend: Stand doch in den Lehrwerken der Zeit die Erfahrung aus Erwachsenenprozessen verewigt, dass viele erwachsene „Hexen“ in ihren Verfahren angegeben hatten, bereits als Kind seien sie in die Hexerei eingeführt worden, oder es war offenbar geworden, dass sie bereits früh in der Jugend – lange vor ihren „Taten“ - eine entsprechende („ketzerische“) Distanz gegen den christlichen Glauben empfunden hatten.
Zum Dritten ... |
... ist für meine staatskritische Moritat der Sachverhalt Veranlassung gewesen, dass auch das heutige, sich modern gebende „Präventionsstrafrecht“
(seit ca. 1990 mit den Schlagworten „sexueller Missbrauch / Pädophilie“ eingeleitet und ab 2002 mit dem „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ weiter begründet und ausgebaut)
nicht nur betreffs des Begriffes „Ausnahmeverbrechen“ bestürzende Parallelen zu jener Rechtsentwicklung vor 400 Jahren aufweist.
Überdies umfasst diese Rechtsentwicklung auch heute wieder die christlich geprägten westlichen Gesellschaften Westeuropas und Nordamerikas. Nirgendwo auch, tobt sie sich stärker aus als im Bereich der sexuellen Delinquenz, namentlich gegen „Pädophilie“ und „sexuellen Missbrauch von Kindern“.
Und auch hier gibt es eine beachtliche Parallele: Dass nachgerade das Sexuelle, offen oder latent - und zwar nach allen historischen Analysen des Hexenwahns – ein zentrales Leitthema des mörderischen Menschenbrennens war.
Nachgerade im Kontext von Prozessen gegen Kinder, Homosexuelle und andere sexuelle Abweichler hatte eine abgründige Sexualdoktrin der christlichen Länder eine besonders blutige Rolle gespielt
(wie in den nachfolgenden Erläuterungen zu meiner Moritat noch ausgeführt werden wird).
Können derartige Parallelen denn Zufall sein? Mein Text ist in jedem Falle eine Mahnung und eine Warnung vor der Dynamik geschichtlicher (gesellschaftspsychologischer) Wiederholung.
Diese können gelesen worden neben Teil 1, ein Gedicht, aber auch als Teil 3 (oder 2), als speziellere Erläuterungen zu einzelnen Textpassagen. Gehen Sie zum (*1) und gehen Sie weiter.
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